Liberation Day für Unternehmer: Entflechtung, Liquidität, Tempo
7. April 2025
Analyse von Alexander Servais
Der US-Investor Bill Ackman, einer der prominentesten Unterstützer von Präsident Donald Trump, spricht bereits von einem „ökonomischen nuklearen Winter“, den die neue amerikanische Zollpolitik auslösen könnte. Übertrieben? Vielleicht. Doch für die deutsche Wirtschaft – und insbesondere für ihre Automobilindustrie – ist die Lage ernst. Sehr ernst. Denn unabhängig davon, wie man Trumps Strategie einordnet – als geschicktes Druckmittel oder als Beginn eines strukturellen Handelskonflikts – erfordert sie schnelle, tiefgreifende Entscheidungen auf Unternehmensseite.
Derzeit sieht es danach aus, als würden auf in die USA eingeführte Autos Zölle von bis zu 25 Prozent erhoben, ergänzt um sogenannte „Retaliatory Tariffs“ von weiteren 20 Prozent. Das Preisniveau für importierte Fahrzeuge würde sich damit um nahezu 50% erhöhen – mit entsprechend abschreckender Wirkung auf US-Konsumenten. Erste Reaktionen der Industrie lassen nicht auf sich warten: Stellantis pausiert Werke, Nissan nimmt Modelle vom Markt, Audi, Jaguar Land Rover und VW stoppen Auslieferungen.
Doch es sind nicht nur Automobilhersteller betroffen. Inzwischen versuchen US-Unternehmen auch in anderen Branchen, etwa der Luftfahrt, unter Berufung auf „höhere Gewalt“ bestehende Lieferverträge zu kündigen. Die Folgen eines eskalierenden Handelskonflikts sind vielfältig, die Unsicherheit groß – und die wirtschaftlichen Verwerfungen könnten weite Teile der deutschen Unternehmenslandschaft treffen.
Mittelstand im Fokus
Besonders gefährdet sind mittelständische Unternehmen, die stark vom transatlantischen Handel abhängig sind. Für viele von ihnen könnte der US-Markt binnen Monaten unerschwinglich werden – nicht wegen fehlender Nachfrage, sondern wegen untragbarer Margen. Die betroffenen Unternehmen müssen nun schnell Liquidität sichern, Kapazitäten zurückfahren und ihre strategische Aufstellung grundlegend überdenken. Das alles in einem wirtschaftlichen Umfeld, das bereits durch Corona-Folgen, gestörte Lieferketten, den Transformationsdruck der Industrie und den zunehmenden Wettbewerb aus Asien erheblich belastet ist.
Die Investitionsspielräume sind vielerorts erschöpft, die Kreditlinien maximal ausgereizt. Die Option, Produktionskapazitäten in die USA zu verlagern und gleichzeitig in Europa zurückzubauen, steht vor diesem Hintergrund manchem nicht mehr offen. Mittelständische Betriebe mit mehreren Tausend Mitarbeitern und komplexen Unternehmensstrukturen stoßen hier schnell an ihre Grenzen.
Diese Einschätzung speist sich nicht nur aus aktuellen Beobachtungen, sondern auch aus historischen Parallelen. Anfang der 1990er Jahre brach der Maschinenbaumarkt infolge des Comecon-Zusammenbruchs dramatisch ein – mit verheerenden Folgen für viele Unternehmen in Süddeutschland. Die Lehre von damals: Ein Umsatzrückgang von 25 Prozent über mehrere Monate ist für die meisten Produktionsunternehmen nicht zu verkraften – schon gar nicht ohne finanzielle Rückendeckung, wie sie in der Corona-Krise noch durch staatliche Hilfen gegeben war. Im jetzigen Fall fehlen diese Reserven. Und es ist unklar, ob und in welchem Umfang die Staaten Europas diesmal überhaupt noch helfen können.
Zwei unbequeme Wahrheiten
Zwei Beobachtungen sollten Unternehmer bei ihren strategischen Entscheidungen berücksichtigen:
Erstens: Die neuen US-Zölle dürften gekommen sein, um zu bleiben – zumindest für die nächsten Jahre. Präsident Trump betont seit den 80er, dass Handelsdefizite nur über Zölle zu korrigieren seien. Dass er diesen Kurs in seiner zweiten Amtszeit weiterverfolgt, ist nicht nur wahrscheinlich, sondern politisch fast zwingend. „I got elected on this“, erklärte Trump jüngst.
Zweitens: Die Reaktion der Kapitalmärkte ist eindeutig: Die Aktien von Banken haben zuletzt stärker nachgegeben als die der Autohersteller selbst. Der Grund liegt auf der Hand: Finanzinstitute sehen sich mit einer Vielzahl an Risiken konfrontiert – aus einer wachsenden Zahl gefährdeter Branchen, aus Immobilienmärkten, die auf Entlassungswellen sensibel reagieren, sowie aus der zunehmenden Kreditzurückhaltung. Für viele Unternehmen wird es in den kommenden Monaten deutlich schwerer werden, frisches Kapital zu beschaffen.
Zeitfaktor wird zum Risikofaktor
Klassische Restrukturierungen brauchen Zeit – oft 12 bis 18 Monate, bis sie Wirkung zeigen. Diese Zeit hat ein Unternehmen nicht, wenn der Umsatz plötzlich wegbrechen sollte. Liquidität verdampft in der Krise schnell, während Verträge, Kündigungsfristen und Darlehen langfristig bindend bleiben. Wer reagieren will, muss jetzt handeln – mit klarer Prioritätensetzung: Risiken entflechten, Verbindlichkeiten prüfen, Verträge neutralisieren, Haftungen reduzieren. Die Gewinnung oder der Erhalt von Investoren und Kreditgebern wird zur Schlüsselaufgabe.
Unternehmer, die diese Realität akzeptieren und professionelle Unterstützung suchen, sind im Vorteil. Denn erfahrene Restrukturierungsexperten mit ausreichend Kapazitäten werden in den kommenden Monaten zunehmend schwer zu finden sein. Wer hingegen glaubt, nicht betroffen zu sein, weil das eigene Unternehmen nicht direkt in der Autoindustrie tätig ist, sollte sich nicht in falscher Sicherheit wiegen. In vielen Regionen – etwa in der wirtschaftsstarken Stuttgarter Umgebung – hängen zahlreiche Branchen mittelbar an der Automobilproduktion. Wer bislang nicht über die Wohlstandsquelle seiner Kunden nachgedacht hat, sollte das spätestens jetzt tun.
Bleibt zu hoffen, dass die Politik in Berlin und Brüssel die Tragweite der Lage erkennt – und die richtigen Weichen stellt, bevor es zu spät ist.