DUKAP erwartet steigende Zinsen im Euro-Raum
26. November 2021
Die anhaltende Diskussion über steigende Inflation und kontroverse Äußerungen der wichtigen Zentralbanken dies- und jenseits des Atlantiks erhöhen noch vor Weihnachten den Entscheidungsdruck auf die CFOs. Tatsächlich erleben wir einerseits in vereinzelten Segmenten die höchsten Preissteigerungsraten seit der Ölkrise in den 1970er Jahren. Andererseits hören wir beschwichtigende Worte insbesondere aus der EZB. Zeit also, sich selbst eine Meinung zu bilden.
Wir stehen vor vier großen Herausforderungen, die ein Anheizen der Inflation und letztlich recht kurzfristig substantiell steigende Zinsen im Euro-Raum erwarten lassen.
Zum Ersten beobachten wir, wie die schwelenden Handelskriege zwischen den USA und China, aber auch zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich an beunruhigender Dynamik gewinnen. Die unmittelbaren Erschwernisse für die hiesigen Unternehmen werden dramatisch durch die sich ausweitenden Lieferkettenproblemen verstärkt. Wir sehen übrigens immer weniger klar, ob es sich bei den Lieferkettenproblemen im Wesentlichen wirklich nur um Konsequenzen aus der Corona-Krise handelt. Uns drängt sich die Frage auf, inwiefern diese Engpässe inzwischen nicht vielmehr auch orchestrierte Instrumente in den Handelskriegen sind, deren wahre Hintergründe mit Hilfe der Corona-Krise kaschiert werden. Sich die massive Umleitung der Rohstoffströme und Energieträger nach Fernost, die in den USA diskutierten Exportbeschränkungen, die Festsetzung der Schiffsfracht-Kapazitäten und der anhaltende Mangel an Chips als rein zufällige Anhäufung von Einzelereignissen vorzustellen, fällt zumindest uns schwer. Alle vorjährigen Prognosen einer Überwindung der Engpässe bis Ende 2021 beruhten auf der nicht abwegigen Annahme, binnen eines Jahres einen Modus Vivendi mit den Corona-bedingten Probleme finden zu können. Aber diese Prognosen haben sich nicht bewahrheitet, ganz im Gegenteil. Wir erwarten daher, dass sich die Situation des globalen Handels und der Lieferketten kurzfristig eher verschärfen wird und damit der Preisdruck durch Verknappung aufrecht erhalten bleibt.
Aus einer anderen Richtung kommt die zweite große Herausforderung für die Preisstabilität im Euroraum. Mit der hier nicht zu vertiefenden Diskussion über den drohenden Klimawandel geht eine grundlegende Änderung der wirtschaftlichen Spielregeln einher. Begonnen wird damit, die Finanzwirtschaft zum Instrument der Klimapolitik umzufunktionieren. Der Zugang zu frischem Kapital wird künftig unter dem Schlagwort ESG-Finance in starkem Maße davon abhängen, ob sich Unternehmen an die klimapolitischen Vorgaben ihrer jeweiligen Finanzmärkte halten können. Parallel dazu werden insbesondere in der Europäische Union neue juristische Vorgaben über den gesamten Lebenszyklus von hier erstellten Produkten und Dienstleistungen auf den Weg gebracht. Die sicher notwendigen, aber gleichermaßen ambitionierten Ziele der Klimapolitik werden nicht nur gewaltige Investitionen erfordern, sondern Strukturbrüche für fast alle Unternehmensbereiche nach sich ziehen. Das alles wird zunächst eher zu einer Verteuerung der Wirtschaftsleistung in Europa führen. Es bleibt zu hoffen, dass die politischen Führer nun erstmalig dafür sorgen wollen, dass es bei unterschiedlichen klimapolitischen Geschwindigkeiten auf dem Globus nicht erneut zu einer Preisarbitrage zwischen Europa und denjenigen Teilen der Welt kommt, die keine Rücksicht auf unsere sozialen und ökologischen Ansprüche nehmen.
Seit den 1970er Jahren fast in Vergessenheit geraten, nun wahrscheinlich wieder aktuell, ist einer der wichtigsten Selbstverstärker von Inflationen: die Lohn-Preis-Spirale. Angesichts des stark steigenden Preisniveaus ist nicht nur zu erwarten, dass Gewerkschaften mit höheren Lohnforderungen auf den Plan treten. Zu unserer Verwunderung hat sogar die Vertretung der EZB-Mitarbeiter jüngst eine Koppelung ihrer Gehälter an die Inflation verlangt. Diese Index-gebundene Koppelung von Löhnen und Gehältern an die Preissteigerungsraten war vor Einführung des Euro lange Zeit ein übliches Instrument insbesondere in den südlichen EU-Ländern. Sie sorgte für die permanente Entwertung der damaligen dortigen Währungen etwa gegenüber der D-Mark. Es steht zu befürchten, dass die Rufe nach diesem Mechanismus insbesondere im Süden, vielleicht auch hier, wieder lauter werden. Ein Nachgeben durch geschwächte Regierungen ist nicht auszuschließen. Was dies dann für den Fortbestand des Euro-Raumes heißt, wagen wir nicht zu prognostizieren. Einstweilen gehen wir nur davon aus, dass der Ruf nach massiven Lohnerhöhungen in den nächsten Monaten unüberhörbar werden wird und damit die Kosten, letztendlich auch die Preise, in einer ewigen Spirale nach oben beschleunigt.
Last but not least werden auch die europäischen Finanzminister sowie die EU-Kommision, insbesondere nach den zahlreichen Schulden-Runden in Folge von Euro-Krise, Banken-Krise, Stützung der Südeuropäischen Länder und zuletzt den gewaltigen Kosten der Pandemie, in Versuchung geraten. Die Inflation ist zwar ein häßliches Werkzeug, aber im Vergleich zu unpopulären Austeritätsmaßnahmen ist sie ein politisch ungefährlicheres Instrument zur Entlastung der Staatskassen. Wir erwarten daher seitens der Regierungen nicht mehr als Lippenbekenntnisse bei der Eindämmung der aufflackernden Inflation. Dies gilt umso mehr, als die Konjunktur in mehreren wichtigen europäischen Ländern immer noch lahmt und dort keine Steigerung der Steuereinnahmen erwarten lässt.
Was bedeutet dies nun für die Finanzierungskosten? Die EZB hat wiederholt verdeutlicht, dass Sie keine Inflation in Europa befürchtet, wenngleich sich in jüngster Zeit gewisse Abschwächungen in dieser Meinung zeigen. Dennoch wird die EZB fürchten müssen, dass eine Zinserhöhung als die klassische Gegenmaßnahme zur Inflation den Euro in eine Zerreißprobe mit ungewissem Ausgang führen wird. Das Risiko, die südeuropäischen Staaten bei erhöhtem Zinsniveau möglicherweise in den Staatsbankrott zu treiben, ist allen bewusst. Aber Europa ist nicht alleine auf der Welt. Wir erleben dieser Tage, dass das über zwei Jahrzehnte haltenden stillschweigende Übereinkommen über ein niedriges Zinsniveau zwischen den westlichen Zentralbanken zerbricht. Die US-amerikanische FED sieht sich bei brummender Konjunktur einer Inflationsrate gegenüber, die auf die 10%-Marke zusteuert. Schon ist sie gezwungen, die Zügel etwas anzuziehen und wird ohne Zweifel weitere kräftige Schritte unternehmen, um die vom Konjunktur- und Investitionsprogramm des amerikanischen Präsidenten weiter befeuerte Inflation in den Griff zu bekommen. Ein durch steigende Zinsen attraktiv gewordener Dollar wird jedoch sehr schnell die Kapitalströme aus Europa in die USA lenken. Und bei abschmelzendem Kapitalzugang in Europa und Wertverlust des Euro gegenüber dem Dollar werden weder die aktuellen Energiekosten und schon gar nicht das ambitionierte Klimaprogramm Europas zu bezahlen sein. Dies abwägend erwarten wir recht kurzfristig steigende Zinsen im Euro-Raum. Jetzt wäre für CFOs daher richtige die Zeit, sich über die Zinsstruktur ihrer Kredite intensiv Gedanken zu machen.